Takeshi Mori, Shinjuku, Taxi Drivers, Written in Their Faces, ©Klaus Maria Einwanger
Klaus M. Einwanger: „Taxifahrer sind oft die ersten Menschen, die man in einer fremden Stadt trifft.“
In unserem neuesten Alethea Talks-Interview spricht der Fotograf Klaus M. Einwanger über sein Projekt, das die prekäre Lage von Taxifahrer*innen weltweit dokumentiert. Einwanger ist bekannt für seine einfühlsamen Porträts und sozialkritischen Arbeiten. Sein Buch „Taxidriver“ beleuchtet die globale Situation der Branche, beginnend in New York, wo ein Medaillon – die offizielle Fahrerlaubnis – einst 800.000 Dollar kostete und einen dramatischen Wertverfall auf etwa 150.000 Dollar erlitt, was viele Fahrer*innen in finanzielle Not stürzte. Erst kürzlich berichteten wir für Alethea Talks über den Taxistreik in Düsseldorf, wo Fahrer*innen gegen unfaire Wettbewerbsbedingungen durch Plattformen wie Uber protestierten. „Taxifahrer*innen sind Opfer der Globalisierung“, lautete unsere Einschätzung nach dem Streik, eine These, die Einwanger in seinem Werk untermauert.
Besonders bewegend sei seine Begegnung mit Yoshihiro Hiraki in Tokio, so berichtet Einwanger, ein ehemaligen Top-Manager, der nach einem beruflichen Rückschlag als Taxifahrer arbeitet. Mit beeindruckender Würde und Hingabe erfülle Hiraki seine neue Aufgabe, eine Gelassenheit, die Einwanger tief berührte und in Deutschland kaum vorstellbar scheint. Im Interview erzählt Einwanger von den sozialen Folgen der Globalisierung, seiner Mission, die Rechte und Würde der Fahrer*innen sichtbar zu machen, und seinem Vorhaben, Taxikulturen weltweit als Zeitdokument festzuhalten.
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August 11, 2025
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Yusuke Furukawa, Shinjuku, ©Klaus Maria Einwanger
„In New York musste man damals ein sogenanntes Medaillon kaufen, das etwa 800.000 Dollar kostete – eine enorme Investition, um als Taxifahrer arbeiten zu dürfen.“
Herr Einwanger, was war der entscheidende Moment, der Sie dazu brachte, sich dem Thema der Taxifahrer fotografisch zu widmen?
Klaus M. Einwanger: Zwischen 2015 und 2019 war ich beruflich in New York, als Uber 2015 seine Unternehmung in der Stadt startete. In diesen vier Jahren konnte ich den Verfall der traditionellen Taxibranche hautnah miterleben. In New York musste man damals ein sogenanntes Medaillon kaufen, das etwa 800.000 Dollar kostete – eine enorme Investition, um als Taxifahrer*in arbeiten zu dürfen. Diese Medaillons wurden in Familien weitergegeben, ähnlich wie eine Immobilie, oder sie wurden verkauft, um davon zu leben. Doch plötzlich war das alles nicht mehr möglich. Es führte zu einer sozialen Katastrophe. Aus diesem Impuls heraus, diese Situation zu verstehen, entstand der Wunsch, das Thema zu fotografieren – nicht nur in New York, sondern weltweit.
Sie erwähnen in Ihrem Buch, dass der damalige Bürgermeister De Blasio 2015 2 Millionen Dollar erhalten haben soll, um Uber in der Stadt zu genehmigen.
Es wurde mir mehrfach persönlich bestätigt. In einem Land wie den USA, wo es so viel politische Korruption gibt, denke ich, dass so etwas kaum noch Beachtung findet. Es ist ein Geschäftsmodell. In Amerika zählt das Business, nicht die Menschlichkeit.
„Als ich anfing, kostete es zwischen 700.000 und 800.000 Dollar, später fiel der Wert auf 150.000 Dollar. Viele Fahrer nahmen Kredite auf, um diesen Beruf ausüben zu können, ähnlich wie bei der Gründung eines Unternehmens."
New Yorker Taxifahrer*innen haben ihr Leben lang die finanzielle Last dieses Medaillons.
Die Medaillons, die auch im Buch abgebildet sind, ist eine Metall Plakette, die auf das Auto sichtbar montiert wird und die Lizenz darstellt. Als ich anfing, kostete es zwischen 700.000 und 800.000 Dollar, später fiel der Wert auf 150.000 Dollar. Viele Fahrer*innen nahmen Kredite auf, um diesen Beruf ausüben zu können, ähnlich wie bei der Gründung eines Unternehmens. Doch innerhalb weniger Jahre verlor die Medaillon so stark an Wert, dass sie es nie schnell genug abbezahlen konnten. Sie fahren also einen Wert, der nicht mehr existiert – ein finanzieller Crash. Das gilt pro Taxi, jedes Auto braucht ein Medaillon. Oft teilen sich zwei oder drei Fahrer*innen ein Taxi, etwa aus einer Familie – Vater, Onkel, Cousin –, um die Kosten zu tragen.
Danny Gilbey, Chinatown Westminster, ©Klaus Maria Einwanger
Sean Paul Day Parliament Protest, ©Klaus Maria Einwanger
Protest Parliament Square, ©Klaus Maria Einwanger
„Sie sind wie Botschafter, und spiegeln die sozialen Schichten und die kulturelle Umgebung ihrer Stadt wider.“
Man spürt in Ihren Bildern eine tiefe Verbundenheit mit den Taxifahrern.
Taxifahrer*innen sind oft die ersten Menschen, die man in einer fremden Stadt trifft. Sie sind wie Botschafter*innen, und spiegeln die sozialen Schichten und die kulturelle Umgebung ihrer Stadt wider. Mein fotografischer Anspruch war, sie nicht in eine Rolle zu drängen, sondern sie selbstbestimmt agieren zu lassen.
Ich bat sie, ihren Ort für die Portraits selbst auszuwählen, und musste dann fotografisch damit arbeiten. Das war manchmal herausfordernd – etwa auf der Waterloo Bridge in London, wo das Taxi nur zwei oder drei Minuten stehen konnte. Ich sprang aus dem Wagen und hatte eine Minute, um die richtige Lücke im Verkehr abzuwarten. Aber es war ihr Wunsch, ihre Idee. Wenn die Fahrer*innen keine hatten, brachte ich Vorschläge ein. Doch ich griff nie ein, was sie taten. Ich wollte diese dokumentarische Ehrlichkeit bewahren, die Rolle des Beobachters einnehmen, nicht die des Regisseurs.
„Es ist eine „Jetzt oder nie“-Situation, denn irgendwann wird es womöglich keine Taxifahrer in dieser Form mehr geben.“
Sie sprachen von Reykjavik und Deutschland. Bedeutet das, es gibt einen zweiten Teil Ihres Projekts, vielleicht ein neues Buch?
Das Projekt wird zu einem weltweiten Vorhaben für die nächsten fünf Jahre. Nächstes Jahr plane ich, nach Peking, Australien, Marokko und Südamerika zu reisen, um die unterschiedlichen Taxikulturen zu dokumentieren. Es ist eine „Jetzt oder nie“-Situation, denn irgendwann wird es womöglich keine Taxifahrer*innen in dieser Form mehr geben. Dieses Projekt ist ein Zeitdokument, aber auch ein Versuch, Material für die Taxifahrer selbst zu schaffen. In Berlin planen wir ein Shooting mit dem Verkehrsministerium und der Innung, die sich mit den Fahrern für ihre Rechte einsetzen. In manchen Regionen, wie China oder Los Angeles, wird es in zehn Jahren vermutlich nur noch autonomes Fahren geben. Dieses Projekt zeigt eine Berufsgruppe in einer Zeit des Umbruchs und ist daher ein wichtiges Zeitdokument.
In Berlin wird ein eigenes Projekt entstehen?
August bis November werde ich in Berlin mein Projekt „Taxifahrer“ fotografieren, vielleicht wird ein eigenes Buch daraus. Als ich in New York, London und Tokio begann, war nichts finales geplant. Ich fing an zu fotografieren, und nach Gesprächen mit inspirierenden Menschen entschied ich, ein Buch zu machen.
„Wenn alle unter denselben Bedingungen fahren müssten, wäre Wettbewerb kein Problem. Das ist die politische Forderung: gleiche Regeln für denselben Service.“
Was haben die Taxifahrer*innen Ihnen über Uber erzählt?
Taxifahrer*innen weltweit – ob in London, Berlin oder Singapur – sagen, sie hätten kein Problem mit Uber oder Grab, wenn die gleichen Regeln gelten würden. In Deutschland braucht man eine Taxilizenz, Uber-Fahrer*innen nicht. Sie brauchen auch keine speziellen Versicherungen. In London zahlen Taxifahrer*innen eine Extragebühr für die Innenstadt, Uber-Fahrer*innen nicht. Die Fahrer*innen fordern: Wenn alle unter denselben Bedingungen fahren müssten, wäre Wettbewerb kein Problem. Das ist die politische Forderung: gleiche Regeln für denselben Service. In Deutschland gilt der Mindestlohn für Taxifahrer*innen, bei Uber definiert man seinen Lohn selbst. Diese Ausnahmen für Uber oder Grab werden weltweit kritisiert. Würde man sie angleichen, würde das den Markt für Taxifahrer*innen fairer machen.
Taxifahrer*innen können an Halteplätzen warten, Uber-Fahrer*innen müssen in Bewegung sein, haben keine festen Parkplätze. Wenn jemand die Hand hebt und „Taxi“ ruft, dürfen nur Taxifahrer*innen anhalten, Uber-Fahrer*innen müssen über die App gebucht werden. Doch ich höre von Freunden: „Ich nehme Uber, weil es billiger ist.“ Oft verdienen Uber-Fahrer*innen nur 8 Euro pro Stunde, weil der Rest für das Auto draufgeht.
Würde ich selbst für 8 Euro arbeiten? Man muss sich in die Lage der Fahrer*innen versetzen. Ich fühle mich gut, weil ich Geld spare, aber würde ich mir das selbst antun? Wenn man die Menschen dazu bringen könnte, nicht nur „Ich habe gespart“ zu denken, sondern „Ich habe auf Kosten eines anderen gespart“, wäre viel gewonnen. Viele Uber-Fahrer*innen haben keine andere Wahl, weil man den Job ohne Ausbildung oder Prüfung machen kann. Das ist praktisch, aber bitte mit denselben Regeln wie für Taxifahrer*innen.
Glauben Sie, dass Sie in den nächsten Jahren eine gesetzliche Veränderung erreichen können, um diesen Wandel voranzutreiben?
Mein Ziel ist, Bilder und Informationen vorzubereiten. Im liberalen Berlin gibt es schon Gedanken in diese Richtung, aber es hat noch keine politische Relevanz.
„Er macht es mit derselben Würde, mit der er einst CEO war, mit einem Eifer und einer Gelassenheit, die in Deutschland kaum vorstellbar wären“
Welche Geschichte eines Taxifahrers oder einer Taxifahrerin hat Sie am meisten berührt?
In Tokio fotografierte ich Yoshihiro Hiraki. Er war im Top-Management, machte einen Fehler und arbeitet nun als Taxifahrer. Er macht es mit derselben Würde, mit der er einst CEO war, mit einem Eifer und einer Gelassenheit, die in Deutschland kaum vorstellbar wären. Das fand ich berührend, weil er für sich einen guten Weg gefunden hat. Bei uns wäre es ein Karriereknick, für ihn ist es eine neue Aufgabe, die er mit Hingabe erfüllt.
In London habe ich Liane Barnes fotografiert, die einzige Frau unter den Fahrern dort. Sie beeindruckte mich, weil sie mir erzählte, wie sie in dieser Männerdomäne zurechtkommt. In London ist die Taxifahrer*innenausbildung, „The Knowledge“, eine der anspruchsvollsten Prüfungen. Man muss alle Straßen kennen, besser sein als ein Navigationssystem, wissen, wo Staus drohen, Erste Hilfe leisten können und soziale Kompetenzen mitbringen. Liane hat das neben anderen Jobs geschafft, und ich war stolz auf sie.
In New York begleitete mich ein Fahrer lange, der mir von De Blasio erzählte und einen Zeitungseintrag zeigte. Ich war beeindruckt von seinem Groll gegen die Politik.
„Es ist nur ein kleiner Tropfen im Ozean, aber das Buch hat erreicht, dass viele Menschen Interesse zeigen.“
Welche Rolle spielt Ihr Buch in der Wertschätzung des Taxiberufs und in der Bewegung, die Sie mit Ihrem Projekt gestartet haben?
Es ist nur ein kleiner Tropfen im Ozean, aber das Buch hat erreicht, dass viele Menschen Interesse zeigen. Spiegel Online hat darüber berichtet, es wurde im Fernsehen gezeigt, und die Politik in Berlin wurde mit Hilfe des Projektes zusätzlich aktiv. Ich hoffe, es regt einige dazu an, ihr Verhalten zu überdenken. Es wird nie eine breite Bewegung, aber es soll ein Baustein sein, um an den Kodex zu erinnern, dass man etwas tun kann.
„Die Zukunft – Taxis, Hotels, Restaurants ohne Menschen – ist meines Erachtens nicht die Bestimmung von uns als soziale Wesen.“
Wie sehen Sie die fortschreitende Technologisierung und autonom fahrende Fahrzeuge?
Es ist eine Frage der Verantwortung, die wir abgeben, aber wir sollten nicht glauben, dass dahinter keine Absicht steckt. KI ist nicht mein Freund, nichts ist wertfrei, alles ist wertgesteuert. Wohin fährt mich dieses Auto? Kann es gehackt werden? Wenn ich in ein Taxi steige, lasse ich mich in den Bereich des Fahrer*in ein und ich lerne ihn kennen. Als Tourist in einem anonymen Auto, in einem Hotel ohne Rezeption, in einem Restaurant mit einem Automaten – das ist eine asoziale Situation. Die Zukunft – Taxis, Hotels, Restaurants ohne Menschen – ist meines Erachtens nicht die Bestimmung von uns als soziale Wesen.
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Kyoko Ohtaki Chuo City, ©Klaus Maria Einwanger
Danny Gilbey, Chinatown Westminster, ©Klaus Maria Einwanger
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