
Erich Honecker reicht Helmut Schmidt ein Hustenbonbon, Bahnhof Güstrow, 13.
Dezember 1981 © J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung
Klara Niemann: „Die „Marke Darchinger“ war ein Synonym für Zuverlässigkeit.“
Jupp Darchinger (1926–2008) war ein zentraler Chronist der jungen Bundesrepublik. Von den 1950er Jahren an dokumentierte er das politische Leben in der damaligen Hauptstadt Bonn. Seine 1,6 Millionen Negative und 60.000 Abzüge, seit 2008 im Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung, zeigen Politiker wie Willy Brandt, Helmut Schmidt oder Richard von Weizsäcker in lebendigen Szenen, aber auch Randfiguren, die die Stimmung einer Ära einfangen.
Seine Schwarz-Weiß-Fotografien zeichnen sich durch Kontraste und Authentizität aus. Seine Frau Ruth, eine Fotolaborantin, unterstützte ihn bei technischer Retusche und Dokumentation. Darchinger begleitete Themen wie die Umweltdebatte nach dem Sandoz-Unfall 1986 oder die Arbeitsmigration, etwa in Bildern von „Gastarbeitern“. Als überzeugter Demokrat mit Nähe zur SPD fotografierte er überparteilich und prägte die visuelle Erinnerung an die Bonner Republik.
Pressefotografen wie Darchinger spielten in der Bonner Ära eine einzigartige Rolle. In einer Zeit mit weniger Fotograf*innen und leichteren Sicherheitsvorkehrungen – etwa vor dem Deutschen Herbst 1977 – hatten sie direkteren Zugang zu Politiker*innen. Seine Bilder, etwa von Willy Brandt und seiner Frau Rut beim Bundespresseball zeugt davon. Pressefotografie bleibt ein essenzielles Medium, um politische Prozesse und gesellschaftliche Debatten sichtbar zu machen, genau wie Darchingers Arbeiten zeigen.
Das LVR-Landesmuseum Bonn ist seit über 200 Jahren ein Zentrum der rheinischen Kulturgeschichte. In der aktuellen Ausstellung werden 130 Presseabzüge aus Darchingers Nachlass gezeigt, kuratiert von Klara Niemann in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung. Zeitzeugen-Interviews bieten weitere Einblicke in seine Arbeitsweise und die politische Bedeutung seiner Fotografie.
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22. Juli , 2025
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Willy und Rut Brandt bei Vorbereitungen für den Bundespresseball, Bonn,
November 1967 © J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung
Wie war es für Sie als Kuratorin, an diesem Projekt zu arbeiten?
Es war ein kurzfristiges Projekt, sehr intensiv und nur möglich, weil die Zusammenarbeit zwischen dem Landesmuseum und dem Archiv der sozialen Demokratie bei der Friedrich-Ebert-Stiftung so gut funktionierte. Denn unter anderem ging es darum, eine immense Menge an Material zu sichten, um ein Gespür für Darchingers Themen und Bildsprache zu entwickeln und auswählen zu können. Wir haben versucht, mit einer neuen Perspektive darauf zu blicken.
Haben Sie mit der Darchinger Familie Kontakt gehabt?
Ja, zwei der drei Söhne, Frank und Marc Darchinger waren ebenfalls als Fotojournalisten im Familienunternehmen ihres Vaters tätig. Wir haben auch Zeitzeugen-Interviews geführt, die einen lebendigen Einblick in Darchingers Arbeit bieten – ein Aspekt, der bisher nicht so intensiv beleuchtet wurde.
Das Archiv wurde an die Friedrich-Ebert-Stiftung übergeben?
Ja, von Jupp Darchinger selbst. Seine Entscheidung fiel bereits 2007, und 2008 wurde das Fotoarchiv an die Stiftung übergeben.

Kabinettssitzung im Park des Palais Schaumburg, 6. Juli 1967 © J.H.
Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung

Raumpflegerin im Plenarsaal des Deutschen Bundestags, 17. Juni 1971 © J.H.
Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung
„Darchinger war eine sehr prägnante Persönlichkeit mit einer außergewöhnlichen Fähigkeit, Menschen zu beobachten und für die Kamera zu öffnen, um ihre Persönlichkeit einzufangen.“
Wie beurteilen Sie Darchingers Persönlichkeit - wie konnte er eine so bedeutende Rolle in der politischen Gesellschaft spielen?
Darchinger war eine sehr prägnante Persönlichkeit mit einer außergewöhnlichen Fähigkeit, Menschen zu beobachten und für die Kamera zu öffnen, um ihre Persönlichkeit einzufangen. Seine Porträts, ob klassisch oder in dynamischen Gesprächssituationen im politischen Kontext, zeigen diese Stärke. Er hatte ein Gespür nicht nur für die zentralen Figuren, sondern auch für jene am Rand der Ereignisse, um die Stimmung eines Moments einzufangen. Zudem verstand er es, eine professionelle Distanz zu den Politiker:innen zu wahren, aber gleichzeitig eine persönliche Nähe aufzubauen, die Vertrauen schuf. Die Politiker *innen wussten, dass seine Fotos ausdrucksstark, aber nicht nachteilig waren.
Ein Beispiel ist seine enge Beziehung zu Helmut Schmidt. Solche Verbindungen und sein Gespür für das richtige Timing waren entscheidend für seinen Erfolg. Seit den 1950er Jahren war er in Bonn präsent, als die Stadt Hauptstadt wurde, und bewegte sich in kleineren, intimeren Kreisen als heute üblich. Seine Frau Ruth, eine ausgebildete Fotolaborantin, unterstützte ihn bei technischer Retusche und Dokumentation, was die Effizienz seiner Arbeit steigerte. Später, ab 1977 und 1984, kamen seine Söhne hinzu, wodurch er ein breiteres Spektrum an Events abdecken konnte. So entstand die „Marke Darchinger“ – ein Synonym für Zuverlässigkeit, starke Schwarz-Weiß-Kontraste und beeindruckende Bildästhetik in der Pressefotografie.
„Heute sind Fotograf:innen austauschbarer, und Sicherheitsvorkehrungen, etwa nach dem Deutschen Herbst 1977, haben den Zugang eingeschränkt.“
Nahmen Politiker:innen ihn mit hinter die Kulissen?
In den 1960er Jahren gab es weniger Fotograf:innen bei Presseereignissen, was den Zugang erleichterte. Heute sind Fotograf:innen austauschbarer, und Sicherheitsvorkehrungen, etwa nach dem Deutschen Herbst 1977, haben den Zugang eingeschränkt.
„Das war ein schmaler Grat, den er meisterlich beherrschte, weshalb seine Fotos geschätzt wurden.“
Waren seine Fotos immer respektvoll, oder gab es auch solche mit ironischem Unterton?
Manchmal ist ein gewisser Humor erkennbar, etwa in Alltagssituationen oder bei der Darstellung von Menschen. Die Bilder sind nie reißerisch, auch wenn sie nicht immer schmeichelhaft sind, etwa bei leidenschaftlichen Reden. Sie machen Menschen zugänglicher und zeigen die Intensität von Debatten. Das war ein schmaler Grat, den er meisterlich beherrschte, weshalb seine Fotos geschätzt wurden.
Gibt es heute noch solche Persönlichkeiten in der Medienlandschaft?
Es gibt sicherlich Fotograf:innen, die Politiker:innen über Jahre begleiten, wie etwa Herlinde Koelbl mit Angela Merkel, allerdings in einer anderen Art von Porträtfotografie, nicht in der klassischen Pressefotografie. Vertrauensvolle Beziehungen existieren weiterhin, aber die Dynamik hat sich verändert.
Wie konnten Sie 130 Fotos aus 1,6 Millionen Negativen auswählen?
Wir haben vorrangig mit dem Bestand des Archivs der sozialen Demokratie bei der Friedrich-Ebert-Stiftung gearbeitet, das 1,6 Millionen Negative und 60.000 Abzüge aus Darchingers aktiven Jahren verwaltet. Wir nutzten die originalen Presseabzüge, die Informationen wie Notizen und Beschreibungen von den Darchingers oder Stempel und Markeirungen der Redaktionen tragen, die sie verwendet haben. 1997 gab es bereits eine große Darchinger-Retrospektive im Landesmuseum, die sich auf die Bonner Republik konzentrierte. Diesmal haben wir authentische Presseabzüge aus seinen aktiven Jahren gewählt, die einen Quellencharakter haben.

„Themenbild Gastarbeiter“, o. D. © J.H.
Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung
Gab es auch Fotos zu gesellschaftspolitischen Debatten wie der Energiekrise oder Migration in den 1980er Jahren?
Ein Beispiel ist ein Bild zur Trinkwasserqualität, das zwei Erlenmeyerkolben mit Flusswasser zeigt – eines trüb und verschmutzt, das andere klar. Dieses Bild spiegelt die Umweltdebatte der 1980er Jahre wider, etwa nach dem Sandoz-Unfall 1986, bei dem Chemikalien in den Rhein gelangten und massive Schäden verursachten. Solche Bilder zeigen die anhaltende Relevanz dieser Themen, da wir viele dieser Debatten heute noch führen.
Wie hat er die Migrationsfrage der 1980er Jahre dokumentiert?
Ein Abzug zeigt einen sogenannten Gastarbeiter, vermutlich in der Automobilindustrie, an einer Maschine. Diese Bilder beziehen sich auf die Arbeitsmigrant:innen, unter anderem aus der Türkei oder Italien, die ab den 1950er Jahren kamen. Das Programm endete in den 1970er Jahren, aber in den 1980er Jahren wurde Migration komplexer, da viele dauerhaft blieben, Familien nachholten und sich Xenophobie als Thema verstärkte. Darchinger zeigt in einem Bild einen lachenden Gastarbeiter, was ein positives Bild vermittelt, obwohl die Realität – harte, schlecht bezahlte Arbeit – oft schwieriger war. Das thematisiert er selbst in einer kritischen Notiz auf der Rückseite des Abzugs.
Welche politische Haltung hatte Darchinger?
Darchinger war ein überzeugter Demokrat und begann in den 1950er Jahren mit einer Nähe zur SPD, was seine Arbeit prägte. Er fotografierte aber überparteilich und deckte den Politikbetrieb in seiner Breite ab. Ein kritischer Blick auf die Akteur:innen der virulenten Debatten war dabei essenziell.
„Seine Fotos trugen zur öffentlichen Wahrnehmung dieser Politiker:innen bei, etwa durch sympathische, menschliche Darstellungen.“
Hatte er Lieblingspolitiker:innen, von denen er die besten Fotos machte?
Er begleitete Persönlichkeiten wie Willy Brandt intensiv, besonders in seinen frühen Jahren bis zu dessen Kanzlerschaft, und auch Helmut Schmidt oder Richard von Weizsäcker. Mit Helmut Kohl war die Beziehung kühler. Seine Fotos trugen zur öffentlichen Wahrnehmung dieser Politiker:innen bei, etwa durch sympathische, menschliche Darstellungen. Ein bekanntes Beispiel ist ein Bild von Willy Brandt und seiner Frau Rut bei Vorbereitungen für den Bundespresseball in den 1960er Jahren, wo Rut an seiner Fliege zieht – eine Aufnahme, bei der Darchinger leicht Regie führte, um einen lebendigen Moment einzufangen.
Was ist die Mission Ihres Museums im Kontext unseres Landes?
Das LVR-Landesmuseum Bonn fokussiert sich auf die Kulturgeschichte des Rheinlands, einschließlich Archäologie, Kunst und Kulturgeschichte. Die Fotosammlung ist nur ein Teil der vielfältigen Abteilungen. Das Museum existiert seit über 200 Jahren und widmet sich der Erforschung und Vermittlung der regionalen Kulturgeschichte, auch durch Fotografie.
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„Themenbild Umgang mit der Umwelt“, o. D. © J.H.
Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung

Selbstporträt im Spiegel, 1949 © J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung
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