Stephan Werhahn: „Die Haltung meiner beiden Großväter in die Zukunft zu übertragen, war die Intention meines Buches.“

Dieses Alethea Talks-Interview beleuchtet Stephan Werhahn, einen Unternehmer und Investor, dessen Familiengeschichte von zwei einflussreichen Figuren geprägt ist: Wilhelm Werhahn, dem Unternehmer und Patriarchen der Werhahn-Gruppe, und Konrad Adenauer, dem ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und langjährigen Oberbürgermeister von Köln. In seinem Buch setzt sich Werhahn mit der Frage auseinander, ob und wie Werte wie familiärer Zusammenhalt, unternehmerische Weitsicht und politische Widerstandsfähigkeit in Deutschland und Europa über Generationen hinweg verankert werden können. Dabei zieht er Parallelen zu den Ansätzen seiner Großväter und verknüpft diese mit persönlichen Erfahrungen, etwa seiner Pilgerreise auf dem Jakobsweg oder seinem Engagement in Afrika mit dem Ausbildungsprogramm „Azubi Africa“ für IT-Fachkräfte. Das Gespräch untersucht Werhahns Thesen zu Themen wie Unternehmertum, einer möglichen Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, Ansätzen zur Bewältigung von Migration und den wirtschaftlichen Herausforderungen Deutschlands. Es hinterfragt, inwiefern historische Werte und persönliche Überzeugungen tragfähige Lösungen für komplexe globale und regionale Probleme bieten können.

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27. September 2025

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IN FOCUS

Name: Stephan Werhahn, Unternehmer, Autor „Europas Resilienz für Frieden, Freiheit und Wohlstand“ 

„Die Haltung meiner beiden Großväter in die Zukunft zu übertragen, war die Intention meines Buches.“


„Die Familie ist entscheidend, man muss zusammenhalten. Bei Adenauer beeindruckte mich seine enorme Widerstandsfähigkeit: Wenn ein Weg nicht funktionierte, suchte er andere. Das war typisch für ihn: das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und flexibel zu bleiben.“


Sie haben zwei sehr beeindruckende Großväter. Welche Werte wurden Ihnen vermittelt?


Beide Großväter, Wilhelm Werhahn und Konrad Adenauer, sind schon lange nicht mehr unter uns. Mein Großvater väterlicherseits, Wilhelm Werhahn, war ein Patriarch im klassischen Sinne. Er hatte ein besonderes unternehmerisches Gespür, war ein fairer Unternehmer und ergriff diplomatisch Chancen. Konrad Adenauer, der Vater meiner Mutter, war ebenfalls ein Patriarch, jedoch nicht so streng. Er war sehr warmherzig und verkörperte in der Familie sowohl Großvater als auch Großmutter, da meine Großmutter Gussi Zinser 1948 verstarb. Das Wichtigste, was er seinen Kindern und Enkeln vermittelte, war: Die Familie ist entscheidend, man muss zusammenhalten. Bei Adenauer beeindruckte mich seine enorme Widerstandsfähigkeit: Wenn ein Weg nicht funktionierte, suchte er andere. Das war typisch für ihn: das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und flexibel zu bleiben. Bei Werhahn war es die Fähigkeit, neue unternehmerische Möglichkeiten zu suchen, die oft weitreichend waren und gute Chancen boten, sich dort einzubringen.


„Ein Beispiel ist Konrad Adenauers Weitsicht, als er der Ford Motor Company, die ein europäisches Hauptquartier suchte, Köln anbot, eine vorausschauende Maßnahme als Oberbürgermeister.“


Haben Sie nie Leistungsdruck durch Ihre Familie verspürt?


Ich erkannte früh, dass diese beiden Persönlichkeiten zentrale Figuren in meiner geistigen Struktur sind. Als Zwilling habe ich zwei Seiten in mir, daher schwankte ich zwischen Politik und Unternehmertum. So fand ich meine persönliche Mitte. Das führte dazu, dass ich trotz dieser starken Vorbilder über die Jahre sehr unabhängig wurde.


„Ich bewundere Unternehmer, die neue Technologien frühzeitig einführen und nach zukunftsrelevanten Rahmenbedingungen handeln.“


Sie beziehen sich auf „Lernen von den Besten“ als Leitprinzip. Warum, und was beeindruckt Sie heute an Unternehmern oder Politikern?


Ein Beispiel ist Konrad Adenauers Weitsicht, als er der Ford Motor Company, die ein europäisches Hauptquartier suchte, Köln anbot, eine vorausschauende Maßnahme als Oberbürgermeister. Ebenso rettete er den Grüngürtel, der damals von den Alliierten abgeholzt werden sollte – eine in heutiger Zeit sehr nachhaltige Maßnahme, die damals schwer umzusetzen war. Von Unternehmern heute lernt man, wenn sie schnelle, unbürokratische Lösungen umsetzen können. Ich bewundere Unternehmer, die neue Technologien frühzeitig einführen und nach zukunftsrelevanten Rahmenbedingungen handeln. Die Digitalisierung sollte in Deutschland viel weiter fortgeschritten sein, doch hier verschenken wir noch zu viel Potenzial. Wenn ein Unternehmer vorausschauend kalkuliert und zukunftssichere Produkte entwickelt, finde ich das bewundernswert.


Diese Haltung meiner beiden Großväter, in die Zukunft zu übertragen, war die Intention meines Buches. Es geht darum, wie man generationenübergreifend Werte und Zukunftsorientierung in Deutschland oder Europa etablieren und stabilisieren kann.


„Ich erkannte zum ersten Mal, dass vor etwa 500 Jahren in Europa große Migrationsströme stattfanden.“


Ihre Wanderung auf dem Jakobsweg – was hat das in Ihnen ausgelöst?


Ich erkannte zum ersten Mal, dass vor etwa 500 Jahren in Europa große Migrationsströme stattfanden. Auch heute ist der Jakobsweg ein Ort, an dem sich Pilger anderen Menschen öffnen, sei es den Orten, die sie besuchen, oder den Mitpilgern. Man tauscht sich über persönliche Probleme aus, denn jeder, der den Jakobsweg geht, hat einen tiefgreifenden Grund, etwa Krebs oder den Verlust eines wichtigen Menschen. Die Pilger kommen aus aller Welt, was eine internationale Bewusstseinsvibration schafft. Es war auch faszinierend zu sehen, wie damals die Pilger an die heilenden Kräfte der Religion glaubten und diese teilweise erlebten. Der Jakobsweg beeindruckt durch diese Offenheit und die Begegnungen.


„Mit einer EVG 2.0 könnten auch nicht-NATO-Länder wie Großbritannien einbezogen werden, ohne bestehende Verträge ändern zu müssen. Für mich ist das ein zentraler Baustein für Europas Zukunft.“


Wie könnte die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) heute aussehen?


Eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft 2.0 wäre heute sehr wichtig. Die Sicherheit aller europäischen Länder erfordert eine enge Zusammenarbeit, nicht nur strategisch, sondern auch technisch, etwa durch gemeinsame Beschaffungsprogramme. Es ist ineffizient, wenn jedes Land eigene Waffensysteme entwickelt und produziert. Eine gemeinsame europäische Beschaffung würde Steuergelder sparen und zu politischer Einigkeit führen, da die Länder voneinander abhängiger werden. Mit einer EVG 2.0 könnten auch nicht-NATO-Länder wie Großbritannien einbezogen werden, ohne bestehende Verträge ändern zu müssen. Für mich ist das ein zentraler Baustein für Europas Zukunft.


Vorteile sind Kostenersparnis und politische Einigkeit durch Abhängigkeit. Es provoziert Russland nicht, da Putin ein gespaltenes Europa bevorzugt. Adenauers NATO-Beitritt nach dem EVG-Scheitern 1955 zeigt, wie man alternative Wege findet.


„Putin, wie schon Stalin vor 75 Jahren, hätte Interesse daran, Europa gespalten zu sehen. Damals führte das zur Idee der EVG 1, die aus internen Gründen, etwa im französischen Parlament, scheiterte. Daraufhin wurden NATO-Verträge unterzeichnet.“


Glauben Sie nicht, dass dies eine Provokation für Russland sein könnte?


Nein, überhaupt nicht. Es geht um die Zusammenarbeit europäischer Länder. In der Handelspolitik haben wir eine einheitliche Haltung, etwa gegenüber Trump. Putin, wie schon Stalin vor 75 Jahren, hätte Interesse daran, Europa gespalten zu sehen. Damals führte das zur Idee der EVG 1, die aus internen Gründen, etwa im französischen Parlament, scheiterte. Daraufhin wurden NATO-Verträge unterzeichnet. Ohne den NATO-Beitritt Deutschlands hätte man den Neutralitätsangeboten Russlands nicht widerstehen können. Das ist ein Beispiel für Adenauers Haltung: Wenn ein Weg, wie die EVG, nicht funktioniert, findet man einen anderen, etwa durch die NATO. So wurde Deutschland in ein Sicherheitssystem integriert.


Es war richtig, dass Europa vor zwei Jahren erkannte, dass man gemeinsam handeln muss, um Spaltungen zu vermeiden. Institutionen sind bereits involviert, und in Brüssel gibt es eine Stelle, die die Rüstungskoordination übernimmt. Die Rüstungsindustrie muss konsolidiert werden, was eine Mammutaufgabe ist. Es dauert lange und muss fair geschehen, da Fabriken geschlossen werden, wenn andere effizienter sind. Dieser Konsolidierungsprozess in einem sensiblen Bereich wie der Rüstung ist eine enorme Herausforderung, die nicht sofort, sondern über einen längeren Zeitraum stattfindet.


„Diese Ströme werden zunehmen, besonders wenn Fanatismus und Hass hinzukommen.“


In Ihrem Buch wird auch über Flüchtlingsströme gesprochen. Wie könnte man damit umgehen, und wie lässt sich das umsetzen?


Das ist ein sehr wichtiges Thema, das viel Raum einnimmt. Man erhält die richtige Perspektive nur, wenn man global denkt. Flüchtlingsströme entstehen aus verschiedenen Gründen, vor allem durch den Klimawandel mit seinen Katastrophen wie Überschwemmungen, Ernteverlusten oder Krankheiten. Auch militärische Aktionen, Terror, Machtkämpfe oder autokratische Diktatoren zwingen Menschen, ihren Wohnort zu verlassen. Diese Ströme werden zunehmen, besonders wenn Fanatismus und Hass hinzukommen. Hinzu kommt das Bevölkerungswachstum. In Afrika leben heute 1,2 Milliarden Menschen, und bis 2100 werden es 3,2 Milliarden sein. Andere Regionen wie China oder Indien stagnieren, aber Afrika, unser direkter Nachbar, wird in 75 Jahren zwei Milliarden Menschen mehr haben. Das ist eine enorme Veränderung, und wir können nicht die Augen verschließen. Europa muss reagieren, und das geht nur gemeinsam. Es kann nicht sein, dass jedes Land eigene Regeln hat oder rechtspopulistische oder nationale Parolen ausruft. Zusammenarbeit ist unerlässlich, ähnlich wie bei der militärischen Sicherheit. Um den Menschen Wohlstand zu bieten, muss man etwas für die Flüchtlinge tun. Man kann den innerafrikanischen Handel fördern, wie es die Afrikanische Union versucht, um mehr Wohlstand in Afrika zu schaffen, damit Menschen nicht fliehen müssen. Stabile Bedingungen, unabhängige Medien und die Achtung von Menschenrechten sind entscheidend. In Europa müssen wir die Flüchtlingsströme durch Grenzkontrollen und Qualifikationen steuern. Qualifizierte Menschen, die Arbeit finden und sozial abgesichert sind, können integriert werden. Ohne Kontrolle gefährden wir unser Sozialsystem. Besser ist es, Menschen vor Ort, etwa in Afrika, zu qualifizieren. Ich habe viele Jahre mit einem Unternehmen IT-Trainings in Afrika durchgeführt, etwa an der Catholic University of Eastern Africa in Nairobi und in Accra, Ghana. Wir haben rund 3.000 Studierende ausgebildet, die nun ein Einkommen haben. Solche Modelle, wie auch die Förderung des innerafrikanischen Handels, schaffen Wohlstand und sind nachhaltiger als isolierte Entwicklungsprojekte, die bei fehlender Finanzierung zusammenbrechen.


Wie hieß Ihr Programm?


Azubi Africa, seit zehn Jahren aktiv, bildet IT-Spezialisten aus, die in Afrika bleiben und Dienstleistungen nach Europa verkaufen.


Wie lange dauert eine Veränderung der Migrationssituation?


Die erste Voraussetzung ist, dass die Geburtenrate sinkt. In Afrika liegt sie bei über fünf Kindern pro Frau, was sehr hoch ist. Bei zwei Kindern pro Frau wäre eine stabile Situation möglich. Das erreicht man durch Bildung, Selbstständigkeit und vor allem die Förderung von Frauenarbeit. In Kenya wurden Handys mit Software ausgestattet, um Banktransaktionen zu verwalten, ein wichtiger Schritt für Frauen in Dörfern, die früher physisch Geld transportieren mussten. Solche kleinen Schritte fördern die Selbstständigkeit von Frauen, die nicht nur um ihr Überleben, sondern auch um ihre Zukunft kämpfen können.


„Ich denke nicht, dass eine europäische Identität im Widerspruch zur kulturellen Vielfalt steht.“


Wie kann die EU eine Identität entwickeln, ohne die kulturelle Vielfalt der Mitgliedstaaten zu gefährden?


Das ist eine sehr gute Frage. Ich denke nicht, dass eine europäische Identität im Widerspruch zur kulturellen Vielfalt steht. Es geht um beides. Die Entscheidungsstruktur basiert auf Subsidiarität: Entscheidungen werden auf der niedrigstmöglichen Ebene getroffen, zunächst beim Bürger, dann in der Gemeinde, im Staat oder in Europa. Themen wie Handelspolitik, Klimawandel oder Weltraumfragen können nur auf höheren Ebenen, etwa in der UNO, gelöst werden. Mit diesen sechs Ebenen bleibt die Verantwortung zunächst an der Basis und steigt nur bei Bedarf. So kann man die europäische Identität stärken, indem man enger zusammenarbeitet. Schlüsselbegriffe wie „eine Union, ein Glaube, ein Gefühl“ drücken aus, dass man grenzüberschreitende Lösungen sucht und voneinander lernt, etwa beim Verkehr in Großstädten oder der Förderung von Fahrradwegen. Parteien wie Volt oder Kommunen können sich austauschen und „vom Besten lernen“. Wichtig ist, dass Bürger eingebunden werden, nicht nur durch moralische Appelle, sondern durch konkrete Entscheidungsmöglichkeiten. Europäische Initiativen, etwa durch Preisverleihungen, können Leuchttürme schaffen, mit denen sich viele positiv mit Europa identifizieren können.


Meine letzte Frage betrifft die wirtschaftliche Lage. Wie sehen Sie diese als Unternehmer und Investor?


Es muss in Deutschland viel geschehen. Wir brauchen einen echten Schub in Wirtschaft und Bildung. Die Wirtschaft schwächelt, es gibt eine Deindustrialisierung, und Unternehmen überlegen, ins Ausland zu gehen. Unsere Infrastruktur ist schlecht, und die Bürokratie muss geändert werden. Auch im Bildungsbereich haben wir klare Defizite. Man kann das nicht allein auf Corona oder Massenmigration schieben. Andere Länder sind besser ausgestattet und investieren mehr in ihre Schulen und Kindergärten.

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