
©Harvard University Unsplash
Dominik Wullers: „Ich wollte Teil von etwas Spannendem sein“
In seinem Buch erzählt ein ehemaliger Bundeswehrsoldat, der mittlerweile Deutschland bei der NATO vertritt, von seinem ungewöhnlichen Lebensweg: Vom unsicheren Schulabgänger zum Absolventen von West Point und Harvard, von der Kleinstadt zur internationalen Bühne. Im Interview spricht er über die Beweggründe für seine Karriere, seine Erfahrungen im Militär und seine Vision eines liberalen Patriotismus, der Deutschland in Zeiten der Spaltung zusammenhalten kann.
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4. Mai 2025
"Ich hoffe, sie lesen die Biografie eines Deutschen, der zeigt, dass es trotz aller Unterschiede ein Deutschland gibt, das uns verbindet."
AM: Warum sind Sie zur Bundeswehr gegangen? In Ihrem Buch steht viel dazu, aber was war der ausschlaggebende Moment?
Dominik Wullers: Das ist fast 23 Jahre her. Damals war ich orientierungslos. Ich hatte immer gedacht, ich würde Arzt werden, aber mit meinem schlechten Abitur hatte ich keine Chance auf ein Medizinstudium. Genau in dem Moment kam der Bescheid für den Wehrdienst – damals gab es noch die Wehrpflicht. Ich fand das Militär spannend, die Vorstellung, mit einem Gewehr durch den Wald zu laufen. Es war eine Mischung aus Abenteuerlust und der Gedanke: „So eine Chance bekomme ich nicht nochmal.“ Also habe ich gesagt: „Das mache ich jetzt.“
Und dann hat es Ihnen so gut gefallen, dass Sie geblieben sind?
Am Anfang überhaupt nicht! Der Einstieg war anstrengend, besonders als Schulabgänger, der schnell die Position wechseln musste. Aber nach den ersten Schritten hat es mir gefallen. Entscheidend war ein Offizier, den ich während eines Lehrgangs kennengelernt habe. Er war in einer Luftlande-Aufklärungseinheit und eine unglaublich beeindruckende Person. Er hat mir von seinem Lebensweg erzählt, und ich dachte: „Das will ich auch!“ Danach habe ich mich sofort als Zeitsoldat beworben.
"Er hat mir gezeigt, dass man etwas Spannendes machen kann, auch wenn der Traum vom Medizinstudium geplatzt ist."
Waren es die Studienmöglichkeiten, die Sie gereizt haben?
Das Studium war eher zweitrangig. Es war wirklich dieser Mann – seine Arbeit, seine Ausstrahlung. Er hat mir gezeigt, dass man etwas Spannendes machen kann, auch wenn der Traum vom Medizinstudium geplatzt ist. Seine Tätigkeit – Fallschirmspringen, Aufklärung hinter feindlichen Linien – war sehr actiongeladen, genau das, was mich damals angesprochen hat.
Sie schreiben auch davon, Teil von etwas Großem zu sein. War das ein Motiv?
Darüber habe ich damals nicht abstrakt nachgedacht, etwa in staatstheoretischen Kategorien. Es war sehr praktisch: Die Arbeit war aufregend, die Kameradschaft intensiv. Das hat mich als 19jähriger angezogen, nicht die Idee, für eine große Sache zu stehen.
Ihre Karriere führte Sie nach West Point und Harvard – beeindruckende Meilensteine. Wie kam es dazu?
Vieles war Glück. 2009 studierte ich an der Bundeswehruniversität in Hamburg, und es gab ein Austauschprogramm mit West Point. Überraschenderweise wollten die meisten nach Australien, ans Meer. West Point ist kein Freizeitprogramm – ein strikter Tagesablauf von 5:30 Uhr morgens bis spät abends, selbst am Wochenende. Aber ich dachte: „Diese Chance bekomme ich nie wieder.“ Also habe ich alles dafür getan, einen Platz zu bekommen. Harvard kam später, durch einen Kommilitonen, der mir von einem zweiten Auslandssemester erzählte. Ich habe mich beworben, bin nach Boston gereist, habe mich den Professoren dort vorgestellt und es geschafft.
Ihre Erfahrungen in West Point müssen intensiv gewesen sein. Wie unterschied sich die Ausbildung dort von der in Deutschland?
Der Unterschied war krass. In Deutschland lag der Fokus damals darauf, Offiziere drei Jahre lang in der Truppe auszubilden, damit sie jede Hierarchiestufe kennenlernen. In den USA, wie auch in Großbritannien oder Frankreich, ist es akademischer. In West Point studiert man vier Jahre lang an einer Militärakademie, trägt Uniformen, hat etwas militärische Ausbildung, aber kaum Kontakt zur echten Truppe. Dafür ist das Verhalten sehr militärisch – streng, mit viel Disziplin und Gehorsam. Es gibt unter Kadetten drakonische Strafen, Dinge, die es in Deutschland so nicht gibt. Es war, wie man sich das Militär aus Filmen vorstellt.
"Für mich ist liberaler Patriotismus ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das auf Werten basiert, nicht auf Herkunft oder Geschichte. Als Sohn eines Afrikaners und einer Deutschen hatte ich lange keine deutsche Identität."
Sie sprechen in Ihrem Buch vom „liberalen Patriotismus“. Was bedeutet das für Sie?
Für mich ist liberaler Patriotismus ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das auf Werten basiert, nicht auf Herkunft oder Geschichte. Als Sohn eines Afrikaners und einer Deutschen hatte ich lange keine deutsche Identität. Ich habe sie im modernen, liberalen Deutschland gefunden, das die Bundeswehr verteidigt. In einer vielfältigen Gesellschaft – über 40 % der Kinder unter fünf haben einen Migrationshintergrund – brauchen wir ein „Wir-Gefühl“, das alle verbindet. Ein Patriotismus, der auf dem Grundgesetz und liberalen Werten wie Staatsbürgerschaft beruht, kann uns Selbstvertrauen geben, unabhängig von der Herkunft.
"Natürlich muss man aufpassen, dass Patriotismus nicht in Nationalismus kippt, aber das als Argument zu nutzen, um es gar nicht zu versuchen, ist Unsinn."
Das Wort „Patriotismus“ wird manchmal kritisch gesehen, sogar als rechts eingeordnet. Haben Sie damit Probleme?
Patriotismus bedeutet für mich Liebe zum Vaterland, ohne andere abzulehnen, so wie Charles de Gaulle sagte: „Patriotismus ist die Liebe zum eigenen Land, Nationalismus die Ablehnung des anderen.“ Natürlich muss man aufpassen, dass Patriotismus nicht in Nationalismus kippt, aber das als Argument zu nutzen, um es gar nicht zu versuchen, ist Unsinn. Man kann es auch „Zugehörigkeitsgefühl“ nennen – wichtig ist, dass es uns stärkt.
Ihre Erfahrungen als Soldat mit Migrationshintergrund sind ein großes Thema. War Hautfarbe bei der Bundeswehr ein Problem?
Unterschiede gibt es immer, auch in der Bundeswehr. Aber mein Fazit nach all den Jahren ist: In der Kaserne, in der Uniform, habe ich mich wohler gefühlt als draußen. Man lernt sich schnell kennen, besonders wenn man zusammen durch den Dreck kriecht. Rassismus gibt es, wie in jeder großen Organisation mit 250.000 Menschen, aber die Bundeswehr hat mir das Gefühl gegeben, dazuzugehören.
Sie schreiben von einer gespaltenen Gesellschaft. Wie sehen Sie die aktuellen Spannungen in Deutschland?
Die Spaltung ist seit Jahren sichtbar, etwa seit Thilo Sarrazins Buch Deutschland schafft sich ab oder der Gründung der AfD. Migration, wirtschaftliche Krisen, Debatten über Gender – alles wird vermischt, und es bilden sich zwei Lager. Mit über 40 % der Kinder mit Migrationshintergrund wird diese Diskussion nicht verschwinden. Die Frage ist, wie wir streiten, ohne uns zu verachten. Ein liberaler Patriotismus könnte uns verbinden, indem er ein gemeinsames Ziel schafft.
Was sollen die Leser aus Ihrem Buch mitnehmen?
Ich hoffe, sie lesen die Biografie eines Deutschen, der zeigt, dass es trotz aller Unterschiede ein Deutschland gibt, das uns verbindet. Meine Geschichte eines verunsicherten Jungen der Identität sucht, ist auch die vieler anderer. Wir müssen uns nicht spalten; es verbindet uns mehr, als uns trennt.
Sie vertreten Deutschland aktuell bei der NATO. Wie fühlt sich das an?
Es ist surreal. In einem Raum mit 32 Vertretern spreche ich nicht für mich, sondern für Deutschland. Zu sagen: „Deutschland will“ oder „Deutschland ist dagegen“, ist etwas Besonderes. Es hat mich dazu gebracht, dieses Buch zu schreiben. So ganz realisiere ich diese Ehre wahrscheinlich erst im Nachhinein.
Was kommt als Nächstes?
Ich wechsle zur Europäischen Kommission, um dort an der europäischen Kooperation im Rüstungsbereich zu arbeiten.
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